Tutorial: Verwendung von Proteinstrukturen zur Abschtzung von Geschwindigkeitskonstanten


Razif Gabdoulline
Karin Schleinkofer
Rebecca Wade

European Media Laboratory,
Schloss-Wolfsbrunnenweg 33,
69118 Heidelberg,
Germany,
10.10.2003



1 Einleitung

Die Geschwindigkeitskonstante einer biochemischen Reaktion wird unter anderem durch die Struktur und die physicochemischen Eigenschaften der Reaktionspartner bestimmt. In unserem Tutorial untersuchen wir die Bindung von Superoxid an die Myeloperoxidase.

Die Struktur der Myeloperoxidase wurde durch Rntgenkristallografie gelst. Jedem Atom der Myeloperoxidase kann eine Teilladung zugeordnet werden, z. B. hat Sauerstoff eine negative Ladung in einer sauren Gruppe; ein Stickstoffatom ist in einer basischen Gruppe positiv geladen. Darberhinaus werden die elektrostatischen Eigenschaften von Proteinen zustzlich durch ihre wssrige Umgebung und dem pH Wert beeinflusst, in dem sie sich befinden. Ionisierbare Gruppen in Proteinen knnen Protonen (H+) verlieren oder erhalten. Dies ist abhngig vom pKa Wert. Der Reaktionspartner der Myeloperoxidase, das Superoxid, ist negativ geladen. Daher wird es von positiv geladenen Gruppen der Peroxidase angezogen und von negativ geladenen Gruppen abgestossen.

Die Geschwindigkeitskonstante der Bindung von Superoxid an die Myeloperoxidase wurde experimentell bei pH 8 bestimmt. Gemessen wurde 0.11.107 M-1 s-1 . Diese gemessene Geschwindigkeitskonstante wurde eingesetzt zur Simulation des biochemischen Reaktionsnetzwerkes der Myeloperoxidase. Die Simulation ergab Oszillationen im Reaktionsablauf, die jedoch nicht mit den experimentellen Beobachtungen bereinstimmen. Der Unterschied zwischen den beobachteten Oszillationen und den simulierten Oszillationen lsst sich durch die Verwendung einer Geschwindigkeitskonstanten erklren, die nicht bei physiologischen pH Wert gemessen wurde. Der physiologische pH Wert liegt bei pH 5.0, gemessen wurde die Geschwindigkeitskonstante jedoch bei pH 8.0.

Im folgenden Versuch erarbeiten Sie den Effekt des pH Wert-Unterschiedes auf die elektrostatischen Eigenschaften der Myeloperoxidase. Die elektrostatischen Eigenschaften der Myeloperoxidase beeinflussen die Bindung an das Superoxid. Da keine experimentell gemessene Geschwindigkeitskonstante bei pH 5 vorliegt, wurde diese rechnerisch bestimmt unter Anwendung der Brown'schen Molekulardynamik Simulation.




2 Vergleich der elektrostatischen Eigenschaften der Myeloperoxidase bei unterschiedlichen pH Werten


Das elektrostatische Potential von Molek
len kann berechnet werden durch Lsen der Poisson-Boltzmann Gleichung. Vergleichen Sie die elektrostatischen Eigenschaften der Myeloperoxidase bei pH 8 und pH 5. Bitte achten Sie auf Aminosurereste, deren Protonierungszustand sich zwischen pH 5 und pH 8 ndert, wenn der pKa zwischen diesen beiden Werten liegt.

Bitte teilen Sie sich in zwei Gruppen auf, die erste Gruppe beginnt mit Teil 2.1, die zweite Gruppe mit Teil 2.2.

2.1 Mit dem "dino"-Programm werden Sie nun das elektrostatische Potential der Myeloperoxidase bei pH 8 und pH 5 untersuchen.
Zum Starten des "dino"-Programms gehen Sie bitte in das Verzeichnis "dino", indem Sie folgende Zeilen eingeben:

cd dino

Das Programm "dino" wird durch folgende Eingabe gestartet:

./run_dino

Das Programm "dino" erlaubt die Ausfhrung von interaktiven Kommandos durch Eingabe nach dem "dino" Anforderungszeichen. Zum Laden der
Myeloperoxidase, pH 5 tippen Sie nach dem "dino" Anforderungszeichen folgendes:

@mpo5.scr

Zur Vergrsserung der Visualisierung geben Sie folgendes ein:

@zoom.scr

ffenen Sie eine zweite Linux-Shell und starten erneut "dino" durch Eingabe von:

./run_dino

Zum Laden der Myeloperoxidase, pH 8 geben Sie nach dem "dino" Anforderungszeichen folgendes ein:

@mpo8.scr

Zur Vergrsserung der Visulaisierung geben Sie folgendes ein:

@zoom.scr

Die Molekle knnen durch Drcken der linken Maustaste rotiert werden (die Maustaste gedrueckt lassen).
Das elektrostatische Potential hat folgende Farbkodierung:
0 bis 1 kcal/mol/e : Bereich von weiss nach blau,
grsser als 1 kcal/mol/e: blau,
0 bis -1 kcal/mol/e : Bereich von weiss nach rot,
kleiner als -1 kcal/mol/e: rot



Sie knnen nun zwei farbige Oberflchen erkennen, die das elektrostatische Potential an der aktiven Stelle derMyeloperoxidase bei pH 5 und pH 8 zeigen. Rot zeigt das negative elektrostatische Potential an, whrend blau das positive elektrostatische Potential anzeigt. Diese Farbgebung lehnt sich an die Konvention fr die Frbung von Sauerstoffatomen (rot) und Stickstoffatomen (blau) an.

?
Vergleichen Sie beide Oberflchen. Erkennen Sie den Kanal, der an die Bindungsstelle des Superoxids fhrt? Superoxid muss diesen Kanal passieren. Auf welche elektrostatischen Unterschiede trifft Superoxid beim passieren dieses Kanals bei pH 5 und pH 8? Was knnten die Ursachen fr diese Unterschiede sein?


I
n der Nhe der Kanalffnung der Myeloperoxidase befindet sich eine negative Stelle bei pH 8. Welchen Effekt hat diese Stelle auf die Geschwindigkeitskonstante der Assoziation bei pH 8?

Bei pH 5 erscheint in der Mitte dieser negativen Stelle eine positive Region. Warum? Welchen Effekt hat diese positive Region auf die Geschwindigkeitskonstante der Assoziation bei pH 5?



2.2 Einige Aminosuren, insbesondere Histidin, nderen ihren Protonierungszustand hufig zwischen pH 5 und pH 8, da ihre pKa Werte in diesem Bereich liegen. Untersuchen Sie nun den Protonierungsstand des Histidins im Kanal der Myeloperoxidase mit Hilfe des Programms "Insight II".
Starten Sie das Programm "Insight II" im Verzeichnis "insight" durch Eingabe von:

insightII

Gehen Sie zum Menpunkt
File-Source_File und whlen Sie dort die Datei 1-recover.log durch Anklicken aus: Das Programm gibt einen Einblick in die drei-dimensionale Struktur der aktiven Stelle des Enzyms Myeloperoxidase. Hervorgehoben sind die Reste, die eine Rolle bei der Bindung des Superoxids spielen: Arginin 231, Histidin 209, Hm 571.

Analysieren Sie nun die Kontur des elektrostatischen Potentials bei pH 8: Gehen Sie zum Menpunkt
File-Source_File und whlen Sie dort die Datei 2-ph8.log durch Anklicken aus. Blau zeigt ein positives elektrostatisches Potential bei +0.3 kcal/mol/e, rot zeigt ein negatives Potential bei -0.3 kcal/mol/e.

Vergleichen Sie nun die Kontur des elektrostatischen Potentials bei pH 5: Gehen Sie zum Menpunkt
File-Source_File und whlen Sie dort die Datei 3-ph8toph5.log durch Anklicken aus. Um wieder zur Kontur des elektrostatischen Potentials bei pH 8 zu wechseln, whlen Sie 4-ph5toph8.log aus.




?
Vergleichen Sie das elektrostatische Potential bei pH 8 und pH 5, welche Unterschiede stellen Sie fest?

Erkennen Sie das Histidin, das wichtig fr diesen Unterschied ist (Histidin ist ein fnf-Ring mit zwei Stickstoffatomen) ?




3 Brown'sche Molekulardynamik Simulation zur Berechnung der Assoziations-Geschwindigkeitskonstanten der Myeloperoxidase

Die nderung des elektrostatischen Potentials infolge der pH-Wertnderung hat einen Effekt auf die Geschwindigkeit der Assoziation von Superoxid und Myeloperoxidase. Die diffusionsgesteuerte Assoziation des Superoxids und der Myeloperoxidase wurde simuliert unter Anwendung der Brown'schen Molekulardynamik.


3.1 Mit Hilfe des Programms "vmd" werden Sie einen simulierten Assoziationsverlauf untersuchen. In diesem Beispiel werden Sie feststellen, dass die zufllige diffusionsgesteuerte Bewegung (Brown'sche Molekularbewegung) moduliert wird durch elektrostatische Interaktionen zwischen der Myeloperoxidase und dem Superoxid.
Wechseln Sie in das Verzeichnis "vmd" durch Eingabe von:

cd mpo-ele-dyn/vmd18
(oder:
cd mpo-ele-dyn/vmd18m)

Starten Sie das Programm "vmd":

./run_vmd

Geben Sie nach dem "vmd" Anforderungszeichen folgendes ein:

play vmd.in

Sie knnen die Simulation im vmd-Menu starten:
Starten und stoppen durch anklicken des unteren rechten Pfeils; die Geschwindigkeit kann durch verschieben des Balkens im "speed"-Fenster geregelt werden.
In "step" knnen verschiedene Simualtionsverlufe gewhlt werden.

Mit Hilfe der Maustasten knnen Sie die Molekle drehen oder vergrssern:
tund dann Maustaste: laterale Drehung
rund dann Maustaste:Drehung in xyz-Richtung
sund dann Maustaste:vergrssern oder verkleinern





?
Sehen Sie, wie sich das Superoxid bewegt?

Wohin bewegt sich das Superoxid?

Warum bewegt sich das Superoxid nicht direkt zur Bindungsstelle der Myeloperoxidase?

Warum ist Superoxid rot?

Zur Berechnung der Assoziations-Geschwindigkeitskonstanten wurden tausende Assoziationsverlufe simuliert. Aus diesen tausend Verlufen wurde die Geschwindigkeitskonstante (s. Tabelle 1) ermittelt, die Sie zur Simulation der biochemischen Stoffwechselpfade im folgenden Teil des Praktikums nutzen sollten.

Tabelle 1:
Berechnete Geschwindigkeitskonstanten fr die Bindung von Superoxid an das Enzym Myeloperoxidase. Zum Vergleich ist die experimentell gemessene Geschwindigkeitskonstante angegeben.

Enzym
pH
berechnete
Geschwindigkeitskonstante
(107 M-1 s-1)

experimentell gemessene
Geschwindigkeitskonstante
(107 M-1 s-1)

Myeloperoxidase
8.0
0.08
0.11
Myeloperoxidase
5.0
1.1
-




4 Literatur

Gabdoulline R.R., Kummer U., Olsen L.F., Wade R.C.:
Concerted simulations reveal how peroxidase compound III formation results in cellular oscillations.
Biophysical Journal 2003 September; 85(3): page 1421-8.










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